Fata-Morgana

Die schillerndsten Phantasien unsrer Märchenträume werden bei diesem Worte lebendig: Fata Morgana! Wer denkt da nicht an die unbarmherzigen, endlosen Flächen der Wüste, an verschmachtende Karawanen, an jenes ungewisse, zauberhafte Flimmerlicht der Sonne, das gleißende Feuerarabesken in die zitternde Luft malt. Wer glaubt sie dann nicht zu sehen, jene trügerischen Spukgebilde, die das überreizte, siedende Gehirn zum Greifen nahe rückt: Palmenhaine, Paläste, schimmernde Minaretts, frohe Volksmassen und Wasser — Wasser. Fata Morgana, ein äffender Zauber, den der heiße Wüstensand gebar.

Wie so oft, muß auch hier die Wissenschaft dämpfend und berichtigend eingreifen. Sie sagt uns zunächst, daß es eine optische Täuschung nach Art der eben geschilderten nicht gibt. Wohl kennt der Wüstenwanderer eine den Unerfahrenen täuschende Erscheinung, die in einem lichten, gegen den Horizont liegenden Wasserstreifen besteht, in dem sich noch weiter dahinter befindliche Gegenstände, etwa ganz ferne Palmen oder Gebirgslinien, zu spiegeln scheinen. Aber das Bild ist ziemlich unscheinbar und wirkt nur, weil es an einer Stelle entsteht, die vorher als trockener Sandboden deullich erkannt wurde. In den Vordergrund wagt sich dies „geheimnisvolle Wasser”, das „Sehrab“ der Araber, niemals. Physikalisch genommen ist es nichts anderes, als ein schmales Stückchen Himmel, das an einer eigenartigen Lagerung verschieden dichter Luftschichten nach unten gespiegelt wird. Alle Bedingungen sind dazu erfüllt, wenn, was namentlich des Abends oder am frühen Morgen der Fall sein kann, die heißeren Luftmassen dicht am Boden liegen, während die kühleren darüber geschichtet sind. Die vom Himmelshorizonte her ganz schräg auf den Boden fallenden Lichtstrahlen gleiten dann an diesen Schichten ab und gelangen auf ihrer weiteren Bahn, ebenso schräg wieder aufsteigend, in das Auge des Beobachters. Mit andern Worten: der Himmel spiegelt sich auf dem Boden genau so wider, wie auf der Oberflãche eines Sees.

Im übrigen ist diese Art der „Fata Morgana“ eine ganz gewöhnliche Erscheinung. Sie ist dem Verfasser zu Dutzenden von Malen bereits an den deutschen Küsten, ja selbst in der Mark Brandenburg und zwar nicht bloß auf deren „Wüstenstrecken“ begegnet. Hier tritt sie ganz bescheiden auf und ist überhaupt nur dem Auge erkenntlich, das zu beobachten gelernt hat. Ein Dampfer, der eine Wenigkeit über dem Horizont frei in der Luft zu schweben scheint, in Wahrheit aber mit einem blanken Himmelsstreifchen zusammen noch ein winziges Spiegelbild seiner selbst unter sich trägt, oder ein flacher Ausläufer eines Küstenstückes, das ein wenig in die Luft emporgehoben ist, ein Inselchen, das sich nach unten verdoppelt und auf dem Horizonte reitet — das ist alles. Diese Erscheinung ist jedoch nicht mit der sogenannten „Kimmung” zu verwechseln, bei der Gegenstände, die schon unter dem Horizonte liegen, durch Brechung der von ihnen ausgehenden Lichtstrahlen scheinbar emporgehoben und dem Auge näher gebracht werden. Am frühen, kühlen Sommermorgen, namentlich wenn nach heißer Nacht ein frischer Wind einsetzt, sieht auch wohl der fleißige Ruderer auf den weiten Havelstrecken oder den ausgedehnten Flächen der Mecklenburgischen Seen die Fata Morgana: fernen, leuchtenden Strandsand, der sich nach unten widerspiegelt, an einer Stelle, wo doch wegen der Windbewegung nur krauses Wasser stehen kann, eine tief stehende Mühle vielleicht, eine weitentfernte Ziegelei, ein Segelchen, das sich umkehrt ....

​
Eine Fata Morgana (Luftspiegelung) in der Straße von Messina. Nicht nur von einem Glasspiegel, einer Wasserfläche usw. können Lichtstrahlen zurückgeworfen werden, sondern auch von jenen Stellen der Luft, wo sich zwei verschieden warme, verschieden dichte Luftschichten berühren. So kann es vorkommen, daß die von einem Gebäude, Schiff usw. ausgehenden Lichtstrahlen aus der Luft zurück in unser Auge geworfen werden, und also die Gegenstände in der Luft zu schweben scheinen. Ändert eine Luftströmung plötzlich die Schichten, so verzerrt sich das Bild in grotesker Weise. Die hier dargestellte Fata Morgana wurde vom Künstler absichtlich übertrieben. Nach H. Seppings Wright.

​
Eine Fata-Morgana im Polarmeer. Das Schiff am Horizont spiegelt sich umgekehrt in der Luft. Original-Zeichnung von Wilh. Kranz.

Das Phänomen rückt um so weiter in den Vordergrund und erscheint um so ausgedehnter, je größer die Temperaturdifferenzen und Dichtigkeitsunterschiede der Luftschichten sind. Unter Umständen kann sich die Erscheinung sogar umkehren, nämlich wenn kalten Luftschichten wärmere übergelagert sind. Dann erfolgt die Reflexion nicht nach unten sondern nach oben, das Spiegelbild scheint also wie ein Phantom in der Luft zu schweben. Vorzugsweise in den Polarmeeren ist diese Art der Spiegelung nicht allzu selten. Sie ist es auch, die W. Kranz auf seinem eindrucksvollen Bilde dargestellt hat. Am Horizont schwimmt, von den Strahlen der tief stehenden Sonne hell beleuchtet, ein großer Segler mit vollem Zeug. Die von ihm ausgehenden Lichtstrahlen treffen das Auge auf zwei Wegen, einmal direkt und dann nach ihrer Zurückwerfung an den höheren, wärmeren Schichten der Atmosphäre, die als vollkommener Spiegel wirken. Über dem Segler schwebt also sein umgekehrtes Luftbild und zieht lautlos mit ihm dahin. Die Spiegelung ist vollkommen und oft von geradezu wunderbarer Deutlichkeit; auch hält sie bisweilen längere Zeit an. Glaubwürdige Beobachter, denen das „Seegesicht“ in höheren Breiten begegnete, schildern den Eindruck als beängstigend und beklemmend, namentlich wenn das Schiff selbst unter dem Horizont lag und nur das umgekehrte Spiegelbild sichtbar war. Wie bei der Sonne, die der Maler stets viel zu groß darstellt, damit sie natürlich wirkt, hat auch W. Kranz, um zu einer malerischen Wirkung zu gelangen, die Winkelgrößen übertreiben müssen. Er hat den Vordergrund unter natürlichem Gesichtswinkel, die Spiegelung dagegen so dargestellt, wie sie in einem mäßig vergrößernden Fernrohr erscheinen würde.

Doppelte, drei- ja selbst vierfache Spiegelungen sind beobachtet worden, doch gehören sie zu den allergrößten Seltenheiten. Sie haben stets eine Umkehr der Schichtendicke der Luft zur Voraussetzung und das Auge muß sich in einer Höhe befinden, unterhalb derer ebenso wie oberhalb die Dichtigkeit zunimmt. Durch Reflexion und gleichzeitige Brechung des Lichtes erzeugte Verzerrungen der Gegenstände und ihrer Spiegelbilder bis ins Abenteuerliche sind sehr wohl möglich. Wenn gar, wie sehr oft in der Meerenge von Messina, die Luftschichten durch Störungen gewellt werden, so ist das Bild ferner, bekannter Gestade in den Umrissen völlig verändert, merkwürdig zerrissen, und dem erregten Blick des abergläubischen Seefahrers werden phantastische Ruinen und Paläste vorgetäuscht. Dann sind wir im Zauberreich der Fee Morgana, des sagenhaften Königs Arthur ränkevoller Stiefschwester, die in der kristallenen Tiefe wohnt und des Abends mit ihren Gespielinnen aufsteigt, um sich durch irreführenden Spuk an den Menschen, die sie verachtet, zu rächen.