Die Rafflesia
Mit welchem Staunen mag der Forschungsreisende Dr. Arnold 1818 mit seinem Begleiter, Sir Stamford Raffles, bei der Bereisung des Innern von Sumatra vor einer auf dem Boden sich mächtig ausbreitenden Blüte wunderbarer Art gestanden haben, die jedem Vergleich mit bereits Bekanntem auswich. Die Riesenblume, daraus sich bei der Annäherung Schwärme von Fliegen erhoben, besaß nicht weniger als etwa einen Meter im Durchmesser, bei einem Gewichte von ungefähr fünf Kilogramm. Der Napf im Zentrum der Blüte faßte vier Liter Wasser.
Der hervorragende englische Botaniker Robert Brown hat 1820 diese merkwürdige Pflanze der wissenschaftlichen Welt bekannt gemacht und sie nach den beiden Entdeckern Rafflesia Arnoldi (Arnolds Rafflesie) benannt. Es haben sich dann später noch einige andre Rafflesiaarten dazu gefunden. Bis jetzt kennt man deren etwa ein halbes Dutzend, die alle auf den Inseln des Indischen Ozeans zu Hause sind.
Die Rafflesien sind Schmarotzerpflanzen, deren Blätter kein Blattgrün (Chlorophyll) besitzen und somit keine Laubblätter sind. Diese Blätter umschließen die Blütenknospen wie Zwiebelschalen, so daß die Knospe einem Weißkohlkopfe ähnelt. Die Blattgrün führenden Pflanzen sind bekanntlich imstande, sich von unorganischen Stoffen zu ernähren, nämlich von den im Wasser gelösten, mineralischen Stoffen, und durch Aufnahme der in der Luft enthaltenen Kohlensäure vermittels ihrer grünen, assimilierenden Blätter. Die Schmarotzerpflanzen jedoch — zu denen unsre Rafflesien gehören — leben auf andern Organismen und von den durch diese erzeugten organischen Stoffen. Man nennt daher die von dem Schmarotzer befallene Pflanze auch die Wirtspflanze.
Beim Aufbrechen der Rafflesia-Blütenknospe schlagen sich zunächst die erwähnten weißen, großen Knospenschuppen zurück, und es treten nunmehr fünf mächtige, halbkreisförmige Lappen hervor, die einen napfartigen Mittelteil umstehen. Dort, wo dieser Napf in die fleischigen und warzigen Lappen übergeht, befindet sich ein dicker, ebenfalls fleischiger Ring. Aus der Mitte des Napfes erhebt sich eine oben kopfförmige Säule, die rings unter dem Kopfe bei den männlichen Blüten — die Geschlechter sind nämlich bei der Rafflesia auf verschiedene Blüten verteilt — einen Kranz von Staubgefäßen, bei den weiblichen aber eine empfängnisfähige Narbenzone trägt. Im Grunde des Napfes sitzt der Fruchtknoten. Die ganze Blüte hat eine sehr merkwürdige Farbe; sie macht nämlich den Eindruck von rohem Fleisch: sie ist rötlich, mit helleren Flecken getüpfelt. Mit zunehmendem Alter wird sie mehr und mehr rotschwarzbraun. Eine weitere Eigenschaft, die neben dem unappetitlichen Aussehen auf die Reisenden immer besonders unangenehm gewirkt hat, ist der Aasgeruch, den die Blüte ausströmt.
Seit Christian Conrad Sprengel, der Ende des 18. Jahrhunderts ein klassisch gewordenes Buch über die Bedeutung der Blüten für das Leben der Pflanzen geschrieben hat, wissen wir, daß die farbigen und weißen Blätter der Blumen gleichsam Wirtshausschilder zur Anlockung besonders von Insekten sind. Sehr oft wird die Blütenfarbe durch die mannigfaltigsten Gerüche unterstützt, die dem Geschmack der Insekten entsprechen. Wo daher Schmeiß- und Aasfliegen der Pflanze als Vermittler der Bestäubung zu dienen vermögen, nach deren Ausführung erst keimfähige Samen erzielt werden können, da haben wir Farben wie bei der Rafflesia und dementsprechende Gerüche. So ist es denn begreiflich, daß die Rafflesia stark von aasliebenden Fliegen besucht wird, die sogar ihre Eier in der Blüte ablegen.
Ist die Befruchtung vollzogen, und sind die Samen gereift, so finden wir sie in eine breiige Fruchtmasse eingebettet, die an den Füßen vorübereilender Tiere kleben bleibt. In dieser Weise werden die Samen verbreitet und gelangen auf die über den Boden hinkriechenden Wurzeln einer Urwaldrebe (Cissus). Hier keimen sie, indem sie durch die Rinde der Wirtspflanze ihren auswachsenden Körper senden und zwischen Rinde und Holzkörper der Cissuswurzel ein Netzwerk, ähnlich einem Pilzgeflechte, bilden.
Nach genügender Kräftigung des Schmarotzers sieht man ihn hier und da unter der Rinde der Wirtspflanze knotig anschwellen, die Rinde platzt schließlich und es tritt sodann eine polsterförmige Rafflesiablütenknospe hervor, die zunächst nur Walnußgröße besitzt, aber bald gewaltig anschwillt: ein Geschwür gleichsam, das zu einer Blüte wird.