Seepferdchen und Seedrachen
„Die grosse Wunderwerck und Geschicklichkeit der Natur”, rühmt der alte Conrad Gesner, der Vater der deutschen Naturgeschichte, „erzeigen sich in viel wunderbarlichen Geschöpffen, insonderheit in diesem gegenwärtigen Meerthier oder Fisch, welcher mit Kopf, Halß, Maul, Brust, Halßhaar, so an den schwimmenden allein bey jhm gesehen wird, sich gäntzlich einem jrrdischen Pferdt vergleicht, außgenommen der Hindertheil oder Schwantz.” In der Tat ähnelt die Gestalt des Seepferdchens (Hippocampus antiquorum) überraschend einem Rosse oder besser noch dem stilisierten Pferdekopf eines Springers im Schachspiel. Gewiß ein absonderlicher Fisch mit seinem knöchernen Plattenpanzer, dem flossenlosen, zumeist nach innen gerollten Greif- und Wickelschwanze, der röhrenförmig ausgezogenen Schnauze und der ewig vibrierenden Rückenflosse, die wie eine Schiffsschraube wirkt und den aufrecht schwimmenden Fisch vorwärts treibt. Gleich Wellen läuft es unaufhörlich über diese Flosse, sie schlägt in der Sekunde etwa zwanzigmal, und doch ist die Geschwindigleit, mit der das Seepferdchen sich fortbewegt, im Verhältnis dazu nur eine winzige. Es liegt vielmehr etwas Grotesk-Feierliches in dem Auf- und Niederschweben des Fischleins, das sich, den Greifschwanz wie ein Klammeraffe um ein Stämmchen seines Seetangwaldes ringelnd, im braunen Grün des Blattgewirres jetzt vor dem stärkeren Feind verbirgt, dann plötzlich, all die Fäden und Stacheln seines Körpers sträubend, sich auf die Beute, mikroskopisch kleine Weich- und Krebstiere, stürzt. Die großen, runden Augen, jedes für sich bewegt, spähen hierhin und dorthin, und der Körper, für gewöhnlich etwa aschbraun, wechselt chamäleonhaft die Farbe, bald ins Grünliche, bald ins Bläuliche spielend.
Solche Verfärbungsmöglichkeit und vor allem das gleichsam Zerfetzte des Körpers, das bei dem im australischen Meere lebenden, größeren Seedrachen oder Fetzenfisch (Phyllopteryx eques) noch viel pittoresker in Erscheinung tritt, sind diesen wehrlosen, in den Tangwiesen des Meeresgrundes heimischen Fischen der beste Schutz. Ähneln sie doch den Tangblättern und Algenbüscheln so außerordentlich, daß sie dem Blick der Feinde leicht entgehen.
Alles an diesen Fischlein erscheint verwunderlich. Dem Grotesken der äußeren Gestalt entspricht der Bau der Kiemen, deren Blättchen zu blumenkohlartigen Gebilden oder lappigen Büscheln gewissermaßen zusammengeschrumpft sind und der ganzen Ordnung die Bezeichnung „Büschelkiemer” (Lophobranchii) eingetragen haben. Das Wunderbarste bei diesen Büschelkiemern aber ist die Art ihrer Brutpflege. Ist es schon merkwürdig, daß allen Regeln zum Trotz bei einigen Arten der Lophobranchier die Weibchen das buntgefärbte Hochzeitskleid anlegen, so erleben wir vollends bei dem Seepferdchen und der ihm nahestehenden Seenadel (Syngnathus acus) das Schauspiel eines trächtigen Männchens. Das männliche Seepferdchen besitzt nämlich auf der Bauchseite zwischen After- und Schwanzwurzel eine Art von Beutel, eine Bruttasche, in die hinein zur Zeit der Fortpflanzung das Weibchen ihre Eier ablegt. Die sich entwickelnden Eier lassen den Brutbeutel allmählich zu stattlicher Kugel anschwellen, und selbst nach dem Ausschlüpfen kehren die jungen Fischlein bei drohender Gefahr noch eine Zeitlang in den schützenden Beutel des Vaters zurück. Ob sie dort, wie Lockwood beobachtet haben will, wirklich mit einer Absonderung der Hautdrüsen der Tasche ernährt werden, sei dahingestellt; es gilt hier noch manches Rätsel zu lösen. Den Fetzenfischen, über deren besondere Lebensweise wir noch wenig wissen, scheint eine eigentliche Bruttasche zu fehlen. Bei ihnen bildet sich vielmehr zur Zeit der Paarung längs der Unterseite des Schwanzes eine weiche, schleimige Masse von der Konsistenz etwa des Kittes, und in diese Masse werden die Eier gebettet.
Daß bei so absonderlicher Gestalt das Seepferdchen im Volksaberglauben eine bedeutende Rolle spielt, ist gewiß nicht verwunderlich. Noch heute tragen die italienischen Fischer ein getrocknetes Seepferdchen als Schutz gegen den „bösen Blick”.