Der Ring des Saturn
Viel tausend Rätsel leuchten aus den Sternenfeuern hernieder auf das kleine Erdenrund, von dem aus der Mensch sehnsüchtig emporschaut zu den kreisenden Welten in unermeßlichen Fernen. Er ist gebunden an dieses Sandkorn, das mit ihm dahintreibt durch die Wogen des Weltmeeres, er ist angewiesen auf einen einzigen Boten, der ihm Kunde bringt von all den anderen Leuchten, die näher und ferner in diesem Meer dahinziehen und freundlich in dunklen Nächten zu uns herüberblinken. Dieser einzige Bote des Sternenraumes ist das Licht. Seine Sprache richtig zu übersetzen, sie verstehen zu lernen, das ist die Kunst des Astronomen und Astrophysikers. Aber welch eine unendliche Summe von Arbeit mußte geleistet werden, ehe das gelang! Und noch heute stehen wir nicht allzuweit vom Anfang, noch heute kennen wir nicht viel mehr als das Abc dieser himmlischen Hieroglyphen, noch heute leuchtet Rätsel um Rätsel aus Sternenaugen hernieder.
Ich will hier von einem der wundervollsten und interessantesten Objekte berichten, das der Sternenhimmel aufzuweisen hat: vom Saturn und seinem merkwürdigen Ring, einem Rätsel, zu dessen Lösung die Menschheit fast 300 Jahre gebraucht hat.
Rund zehnmal ferner als die Erde, kreist um die Sonne ein mächtiger Stern, den wir häufig in hellem, ruhigem Licht am Abendhimmel bemerken können. Es ist der Planet Saturn, der unsern Erdenstern über 700 mal an Größe übertrifft. Gleich der Erde ist er ein an sich dunkler Körper, der sein Licht von der Sonne empfängt und diese in einer gewaltigen Bahn in 29 1/2 Jahren umwandert.
Auf der Kugel des Saturn, die an den Polen stark abgeplattet ist, und sich in 10 1/4 Stunden einmal um ihre Achse schwingt, sieht man in einem guten Fernrohr graue Streifen, die ringsum laufen. Es sind Wolkengürtel. Von der eigentlichen Oberfläche des Planeten sehen wir überhaupt nichts. Eine ungeheure, undurchdringlich dichte Atmosphäre, wahrscheinlich heißer Dämpfe, hüllt ihn ein, in der es wallt und wogt. Aus verschiedenen Wahrnehmungen, vor allen Dingen aus rötlichen Flecken, die sich in der Wolkenhülle bildeten, müssen wir den Schluß ziehen, daß auf dem Saturn noch keine feste, kalte Oberflãche vorhanden ist wie auf der Erde, sondern daß eine nur dünne, heiße Kruste die im ganzen noch feurige Weltkugel umgibt, die oft von den Gewalten der Tiefe durchbrochen wird. Das Wasser scheint noch nicht festen Fuß gefaßt zu haben; als mächtige Wasserdampfschicht umgibt es den Planeten. Das Ganze ein Bild wie es der Erdball vor vielen Jahrmillionen geboten haben muß.
Um diese Planetenkugel aber rotiert als wundervollste Erscheinung ein riesiger, freischwebender Ring.
Als der große italienische Naturforscher Galileo Galilei im Sommer des Jahres 1610 mit dem eben erfundenen Fernrohr den Saturn beobachtete, war er überrascht, ein ganz merkwürdiges Gebilde vor sich zu sehen. “Ich sehe diesen Stern als einen dreifachen Körper”, schrieb er damals. In einem Briefe vom 13. November 1610 sagt er: “… Östlich und westlich sehe ich noch zwei Körper die den Zentralstern begleiten. Sie sind wie zwei Diener, die den alten Saturn stützen und immer an seiner Seite bleiben.” Aber die Sache wurde immer rätselvoller, als im Jahre 1612 keine Spur mehr von den Begleitern zu sehen war und der Saturn als einfache Kugel erschien. Galilei starb, ohne das Rätsel gelöst zu haben.
Andere Bebobachter waren nicht glücklicher. Gassendi sah jene beiden Körper anfangs gleichfalls; im Jahre 1636 aber schreibt er erstaunt, daß statt der Begleiter nun links und rechts zwei Henkel am Saturn wie an einem Topf befestigt scheinen. Indessen 1642 waren die Henkel verschwunden, und der Saturn wieder eine normale, abgeplattete Kugel. Aufs Neue erstaunte die Astronomenwelt, als 1646 die Henkel wieder zum Vorschein kamen. 25 Jahre lang forschte der hervorragende Astronom dem Rätsel nach, er starb 1655, ohne die Aufklärung zu erleben. Nicht erfolgreicher war der große Danziger Astronom und Ratsherr Hevelius. Ihm erschienen die Seitenkörper als Mondsicheln, die sich mit dem Hauptstern drehten und so, vor oder hinter ihn tretend, zeitweilig verschwänden. Einmal schien es, als sei das Wunder erklärt; der Naturforscher Roberval stellte die Frage auf, ob nicht infolge der Erwärmung durch die Sonne Wolken rings um den Saturnäquator emporsteigen könnten, die als freier Ring die Kugel zu umschweben vermöchten. Roberval war der Wahrheit ungemein nahe, aber den Schlußstein fand er nicht, der seinem Gedankengebäude Halt gegen hätte.
Endlich fand sich der Mann, der den wahren Sachverhalt erkannte; es war der holländische Physiker und Astronom Huygens, als Erfinder der Pendeluhren allbekannt. Huygens besaß damals ein gutes Fernrohr, mit dem er einen den Saturn umkreisenden Mond entdeckt hatte; er sah das ganze Saturnbild deutlicher als seine Vorgänger, und offenbar hat ihn auch der Gedanke Robervals beeinflußt. So trat er im Herbst 1656 mit der Ansicht hervor, daß die Saturnkugel von einem freischwebenden Ringe umgeben sei, der nur scheinbare Gestaltsveränderungen erleide, nur scheinbar verschwinde, weil Erde und Saturn fortwährend ihre Lage zueinander ändern, und sich nur aus perspektivischen Gründen das Ringgebilde so für den irdischen Beobachter verändere. Damit hatte Huygens in der Tat das Richtige getroffen. In seinen Hauptpunkten war das Rätsel gelöst.
Eines unsrer Bilder läßt sehr gut das Zustandekommen der veränderlichen Saturngestalt erkennen. Wir schauen bald auf die obere, bald auf die untere Fläche des Ringes von der Erde aus. Bald sehen wir ihn weit geöffnet, bald blicken wir nur auf die schmale Kante des nur sehr dünnen Gebildes.
Dann erblicken wir den Ring nur als schmalen Strich, als sei ein dünner Draht durch die Kugel gespießt. Wenn nun die Sonne gerade so steht, daß sie diese feine Kante des Ringes nicht erleuchtet, so muß uns auch diese noch unsichtbar werden, und dann ist keine Spur mehr vom Ringe sichtbar.
Übrigens handelt es sich nicht um einen, sondern um viele, ineinanderliegende Ringe, die durch Zwischenräume voneinander getrennt sind, von denen man einige auf unsern Bildern erkennt. Die Dimensionen des Ringes sind enorm. Der Gesamtdurchmesser beträgt 278 000 km, die Breite der Ringfläche 65 000 km; dagegen ist der Ring ungemein dünn, nämlich höchstens 80 km dick.
Mit der Entdeckung der wahren Figur des Ringes waren indessen durchaus noch nicht alle Rätsel gelöst; denn nun erhob sich die Frage: woraus besteht das merkwürdige Gebilde? Die einen glaubten, es sei eine feste Gesteinsmasse, andere hielten es für flüssig oder gasförmig. Hervorragende Mathematiker, besonders Laplace, wiesen nach, daß ein fester, gleichförmiger Ring unmöglich Bestand haben könne, sondem infolge der Einwirkung der andern Himmelskörper in seiner Nähe zerfallen müßte. Lange blieb das Problem ungelöst. Durch Arbeiten des Engländers Maxwell und des Deutschen Hirn wurde gezeigt, daß die Ringe nur aus Staubmassen oder winzigen festen Körperchen bestehen können, so daß innerhalb des Ringgebildes eine große Beweglichleit herrschen muß, die seine Haltbarkeit garantiert. Aber erst die letzten Jahrzehnte haben den Beweis erbracht, daß dem wirklich so ist. Durch Beobachtungen mit den modernen Riesenfernrohren und Spektralapparaten konnte man zeigen, daß es in der Tat winzige Körperchen sind, die die Ringe zusammensetzen, konnte man auch die verschiedenen Geschwindigkeiten der verschiedenen Ringteile feststellen.
Außer diesen Staubringen umkreisen noch zehn Monde die Kugel des Saturn, der sich so als Beherrscher eines Riesenreiches erweist. Unsere Phantasie mag sich da wohl gern ausmalen, wie der Himmel von der Oberfläche des seltsamen Planeten aus erscheinen muß, wo wie ein Regenbogen der breite Ring über dem Horizont aufsteigt, wo zehn Monde in allen Phasen zwischen den Sternen einherwandeln in ewigem Wechsel, und wo fern die Sonne nur noch als eine winzige Scheibe, als ein flammender Stern strahlt.